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Hypnotherapie bei Depressionen - Claudia Wilhelm-Gößling, Cornelie Schweizer, Charlotte Dürr, Kristina Fuhr, Dirk Revenstorf

Hypnotherapie bei Depressionen (eBook)

Ein evidenzbasiertes Manual für die psychotherapeutische Arbeit
eBook Download: EPUB
2025 | 2., überarbeitete Auflage
236 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044093-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
43,99 inkl. MwSt
(CHF 42,95)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Depressionen zählen zu den am häufigsten auftretenden psychischen Störungen und gehören bei aktuell steigender Tendenz schon jetzt zu den sog. Volkskrankheiten. Dieses Manual stellt ein umfassendes Repertoire von hypnotherapeutischen Strategien und Techniken zur Behandlung von Depressionen vor, die von dem Autorenteam basierend auf langjährigen klinischen Erfahrungen entwickelt wurden und sich in einer randomisiert-kontrollierten Studie als ebenso wirksam erwiesen haben wie die kognitive Verhaltenstherapie. Nach vielen begeisterten Rückmeldungen zur erfolgreichen Anwendung liegt nun die 2. Auflage vor. Sie wurde vollständig überarbeitet und an die Neuerungen der Diagnosesysteme OPD-3 und ICD-11 angepasst. Die Module und das Arbeitsmaterial zum Download wurden für den therapeutischen Einsatz optimiert.

Dr. med. Claudia Wilhelm-Gößling, Chefärztin der Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie des Klinikums Region Hannover und Ausbilderin der MEG. Dr. rer. nat. Cornelie Schweizer, Psychologin in eigener Praxis in Tübingen und Ausbilderin der MEG. Charlotte Dürr, Psychologische Psychotherapeutin in Tübingen. Dr. rer. nat. Kristina Fuhr, Psychologische Psychotherapeutin am Universitätsklinikum Tübingen. Prof. Dr. rer. nat. Dirk Revenstorf, Professor für Klinische Psychologie und Leiter der MEG Tübingen.

2 Einführung in die Hypnotherapie


Dirk Revenstorf

2.1 Allgemeines


Bestimmte Dinge werden in jeder Therapie ähnlich ablaufen, egal ob es um eine kognitiv-verhaltenstherapeutische, tiefenpsychologische, humanistische, systemische oder eine andere Art der Behandlung geht. Derartige Aspekte sind z. B. Einfühlung, Interesse zeigen, Exploration von aktuellen Themen oder von Erfahrungen seit bzw. in der letzten Sitzung. Hypnotherapie unterscheidet sich allerdings im sprachlichen Duktus von anderen Therapieformen, da dem »Pacing« besondere Bedeutung gegeben wird (s. u.). Pacing im hypnotherapeutischen Sinne bedeutet, als Therapeutin oder Therapeut zunächst ganz an die Gefühlswelt, die Gedanken, die vorherrschenden Sinnesmodalitäten und das gezeigte Verhalten der Patientin oder des Patienten anzuknüpfen, die Äußerungen der Patientin oder des Patienten dabei (eventuell sogar wortwörtlich) zu wiederholen sowie ggf. auch schon mit einigen eingestreuten Bemerkungungen zu ergänzen und so ein vertieftes Verständnis für das jeweilige Erleben des oder der Anderen zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus ist das Besondere an der Hypnotherapie die Einbeziehung eines veränderten Bewusstseinszustandes, der durch die Hypnose ausgelöst wird. Dieser Zustand hat spezifische Charakteristika, die therapeutisch auf unterschiedliche Weise genutzt werden können und hier kurz beschrieben werden.

Hypnose ist ein traditionelles Heilverfahren, das eine der Urformen der Psychotherapie darstellt, wenn man Mesmers Gruppensitzungen im 18. Jahrhundert als Vorläufer psychotherapeutischer Behandlung versteht. Er sah die Heilung in einer vermuteten Regulierung von Energieströmen im Organismus. Die heutige Hypnotherapie, die sich im 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss des amerikanischen Psychiaters Milton H. Erickson entwickelte (Erickson und Rossi 2006), ist eine breit angelegte Methode mit einem vollkommen anderen Verständnis von Psychotherapie und Heilung. Sie verfügt über eine Vielzahl von Techniken, die praktisches Handwerkszeug zur Erreichung bestimmter medizinischer und psychotherapeutischer Ziele liefern. Hypnotherapie im Sinne von Erickson ist in erster Linie an Problemlösung und Gesundung und erst in zweiter Linie an Ursachenforschung und Diagnostik orientiert.

Hypnose, bzw. »hypnotische Trance« ist nach neueren neurobiologischen Erkenntnissen ein veränderter Bewusstseinszustand, in dem die Aufmerksamkeit fokussiert, die Absorption in Vorstellungen intensiviert und gleichzeitig die (kritische) Selbstreflexion vermindert ist, und in dem die Begrifflichkeiten der Alltagsvernunft in den Hintergrund treten (Revenstorf, Peter und Rasch 2023; Revenstorf 2017; Peter und Revenstorf 2018). Dadurch entsteht eine größere Durchlässigkeit zu körperlichen Prozessen, zur Erinnerung, zum emotionalem Erleben, ein eher intuitiver Zugang zu Bildern sowie eine erhöhte Suggestibilität. Hypnotische Trance geht im Allgemeinen mit einer Innenwendung der Aufmerksamkeit und einer größeren gedanklichen Freiheit einher, als sie das Alltagsbewusstsein zulässt, wodurch innere »Suchprozesse« und neue assoziative Verknüpfungen erleichtert werden. Die menschliche Informationsverarbeitung besteht nach konstruktivistischer Auffassung, die sich neurophysiologisch gut untermauern lässt, nicht etwa darin, sich direkt an der Wahrnehmung der Realität, im Sinne von S. Freud am Lustprinzip oder im Sinne von B. F. Skinner an der positiven Vertärkung zu orientieren. Vielmehr besteht Orientierung des Organismus darin, aus bisheriger Erfahrung konstruierte Modelle der Realität auf Wahrnehmungen und Handlungentwürfe im Sinne J. Piagets als Assimilationsversuch anzuwenden und dann die mangelnde Präzision der Vorhersage im günstigen Fall durch Akkomodation der Modelle zu verbessern (Laukkonen und Slagter 2021). Diese impliziten Modelle entstehen anhand der Alltagsvernunft und dem Selbstbild – d. h. neurophysiologisch gesehen unter Einfluss des Default-Mode-Netzwerkes (mit Beteiligung des präfrontalen Kortex und des Prekuneus). Genau dieses Netzwerk, das schweifende Gedanken und theoretische Spekulationen generiert, ist in der hypnotischen Trance mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. Das heißt, dass im Zustand der hypnotischen Trance keine gedankliche Überarbeitung der Wahrnehmungen und Handlungsentwürfe stattfindet, was wiederum bedeutet, dass die oben erwähnten Modelle der Realität unterlaufen werden und sich der Organismus mit dem Input der Sinnesorgane und der Interozeption, mit Bildern, Erinnerungen und Suggestionen vorbehaltlos befasst. Gewissermaßen ohne stille Kommentare wie: »Das kann doch gar nicht funktionieren« (Ratio) oder »Kann ich das? Was werden die anderen denken?« (Selbstbild) u. ä. Hypnotische Trance könnte man daher einen Zustand der »Ichlosigkeit« nennen, in dem das Alltags-Ich mit seinen vorgefassten Begriffen und Vorstellungen (ähnlich wie im Traum) vorübergehend außer Kraft gesetzt wird.

Diese vorbehaltlose Verarbeitung ist unterhalb des komplexen Assimilationsprozesses angesiedelt und mehr am Hier und Jetzt, der sinnlichen Wahrnehmung, der auftauchenden Bilder und Gedanken orientiert und weniger an dem, was war und dem, was sein wird. Das bringt eine erhöhte Durchlässigkeit von Bildern und somatischen Prozessen mit sich und kann zur Beeinflussung medizinischer und psychosomatischer Probleme, zur Unterbrechung motorischer Muster, zur Erweiterung des Selbstbildes und anderer kognitiv-affektiver Schemata sehr nützlich sein, wie Erickson immer wieder betont hat und wie es in seinen Prinzipien (s. u.) zum Ausdruck kommt.

Wissenschaftstheoretisch favorisiert die Hypnotherapie daher einen Standpunkt, in dem davon ausgegangen wird, dass Denken und Verhalten durch Schemata gesteuert werden, in die bestimmte, begrenzende Konzeptionen bezüglich der Umwelt und des Selbstverständnisses eingehen. Der veränderte Bewusstseinszustand der hypnotischen Trance erleichtert eine Revision von solchen Sichtweisen und Haltungen, an denen der Organismus aus Gründen der Gewohnheit und Bahnung festhält, obwohl sie zugegebenermaßen dysfunktional geworden sind. Die allgemeinen hypnotischen Phänomene (Katalepsie, Zeitverzerrung, Amnesie, Hypermnesie, sensorische Illusionen) zeigen anschaulich, wie weit die Alltagsvernunft in der Trance zurücktreten kann. Sie sind experimentell gut untersucht worden, wogegen manche der theoretischen Annahmen der Erickson'schen Hypnotherapie, z. B. bezüglich der Wirkungsweise strategischer Interventionen oder der Notwendigkeit von Amnesie und Konfusion bisher eher spekulativ sind.

Ein wesentliches Merkmal hypnotherapeutischer Arbeit liegt im ressourcenorientierten Vorgehen, d. h. der Ausrichtung auf die Fähigkeiten und noch unentwickelten Potenziale der Patientin oder des Patienten und nicht auf deren Defiziten. Während die defizitorientierte psychiatrische Diagnostik eher zu einer Selbstwertschwächung der Patientin oder des Patienten beiträgt, wird mit dem »Utilisationsprinzip« darauf hingearbeitet, Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Symptome – etwa Suchtverhalten, Phobien, Zwänge, Somatisierungen und zum Teil auch Schmerzen – werden als (meist obsolete) Lösungsversuche für bestimmte Probleme verstanden. Dafür wird in der Therapie eine Alternative angestrebt, die sich vom Problemverhalten dadurch unterscheidet, dass dafür bisher ungenutzte eigene Möglichkeiten der Patientin oder des Patienten einbezogen (utilisiert) werden.

Mehr als in anderen Therapieformen wird das Behandlungsangebot auf die Individualität der Patientin oder des Patienten abgestimmt. Es richtet sich nicht so sehr nach einem neu zu erlernenden Soll-Zustand, sondern versucht den Ist-Zustand und manchmal sogar das Symptom selbst für eine Veränderung zu nutzen. So entdeckte Erickson in der Wohnung einer vereinsamten, in ihre Depression versunkenen alten Dame ein (einsames) Usambarveilchen und animierte sie, Usambaraveilchen zu züchten und sie schließlich auf dem Wochenmarkt zu vertreiben. Die Betonung der individuellen Besonderheiten unterstützt auch die Entwicklung einer positiven therapeutischen Beziehung. Dabei dient der charakteristische Interaktionsstil des Gegenübers als Hinweis für die Gestaltung der Therapiebeziehung, was auch in Hinblick auf die Psychodynamik der Beziehung und eine eventuelle Strukturschwäche (»Ich-Struktur-Niveau« ▸ Kap. 3.3) von Interesse ist. Mit Eigenschaften wie »Ressourcenorientierung«, »Utilisation« und veränderter Informationsverarbeitung bei inneren »Suchprozessen« erweist sich die Hypnotherapie als eine flexible Methode, die auch mit anderen Therapieformen kombiniert werden kann.

Ein Unterschied zu anderen Therapieformen besteht im Verzicht auf absolute Transparenz des Vorgehens in der Hypnotherapie und dem Vertrauen auf unbewusste Verarbeitungsprozesse. Es wird angenommen, dass die Patientin bzw. der Patient aufgrund einer (momentanen) Verengung des Erlebens nicht in der Lage ist, Ressourcen bewusst zu nutzen und ihr bzw. ihm dazu in hypnotischer Trance aufgrund der Vorbehaltlosigkeit der mentalen Verarbeitung besser geholfen werden kann. Das...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2025
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Anil Batra, Alexandra Philipsen
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Depression • Hypnotherapie • Psychotherapie
ISBN-10 3-17-044093-4 / 3170440934
ISBN-13 978-3-17-044093-7 / 9783170440937
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